Noch immer „Kommunisten oder Faschisten“? – Der Osten wirbelt die deutsche Parteienlandschaft auf

Während Die Linke den Prozess ihrer politischen (Selbst)Zerstörung fast abgeschlossen hat und daraus wohl eine neue Partei um Sahra Wagenknecht hervorgehen wird, gehen die Umfragewerte der AfD durch die Decke. Anstatt sich den gigantischen Berg an bundesrepublikanischen Problemen zu stellen, zeigt das Berliner Partei-Establishment mit dem hypermoralischen Zeigefinger auf die alten und neuen Schmuddelkinder – die werden dadurch erst recht immer stärker.

Ein Meinungsbeitrag von Sven Brajer

Auf dem absteigenden Ast

Die Entwicklung der Bundesrepublik in den letzten zehn Jahren kann aus der Sicht des Großteils der Bevölkerung schlichtweg als katastrophal angesehen werden. Aus dem einstigen Exportweltmeister ist ein hochverschuldeter, sich immer stärker deindustrialisierender Staat geworden, dessen Infrastruktur vor sich hinvegetiert. Die Dichter und Denker sind verstummt oder haben gleich das Weite gesucht, knallharte Ideologie hat Rationalität in der Politik abgelöst, die individuelle Freiheit wird immer stärker eingeschränkt. Daneben stellt einerseits die demographische Entwicklung einer von Babyboomern beherrschten und aus Gründen der „Klimarettung“ gleich auf Kinder verzichtenden Generation Y und Z eine Katastrophe dar, andererseits gehören Zustände wie in französischen Banlieus mittlerweile auch in NRW,  Berlin oder zuletzt auch verstärkt in Sachsen zum Alltag. Wie vor zwanzig Jahren ist von Deutschland längst wieder als der kranke Mann Europas die Rede. Dazu liegt die Kultur am Boden, die Generation Head down hat sich aus der analogen in die digitale Welt zwischen Netflix und TikTok verabschiedet und nie kritisches Denken gelernt. Kurzum: Die perfekte Klientel für die bargeldlose WEF- und Silicon Valley-Dystopie zwischen 1984 und Brave New World.

Die politischen Eliten leben derweil in ihrer eigenen Welt, fett gefressen von 70 Jahren angloamerikanisch initiierten BRD-Wirtschaftswachstum, agieren sie als nützliche Idioten einer steinreichen und mit allen Wasser gewaschenen Oligarchentruppe zumeist Made in USA, die besonders in den letzten zwanzig Jahren in den Branchen Big Tech, Big Money und Big Pharma zu nie gekannten Wohlstand gekommen ist – mit dem sich locker demokratische Institutionen lobbyistisch aushebeln und die Presse schlichtweg kaufen lässt. In Berlin hat man entweder noch nicht realisiert, dass das Imperium in Washington nicht mehr fördert, sondern nur noch fordert und den Wirtschaftskonkurrenten Bundesrepublik offen oder verdeckt abwickelt bzw. auch mal ganz direkt sabotiert. Alternativ steckt man selbst knietief im transatlantischen Lobbysumpf und nimmt den rapiden Niedergang des ohnehin verhassten Heimatlandes mit Freude war. Nur wer seinen politischen Instinkt – und/oder sein Gedächtnis – verloren hat, kann in dieser Situation von einem neuen Wirtschaftswunder fabulieren – zumal die meisten ernst zu nehmenden Ökonomen genau das Gegenteil prognostizieren.

Im Westen nichts Neues

In NRW oder Hessen nimmt man all das kaum zur Kenntnis und wählt weiterhin brav CDU, SPD oder die „gefährlichste Partei“ Deutschlands, die Grünen. Die Welt- und Klimarettung samt von oben verordneter Toleranz bestimmt hier nach wie vor das betreute Denken. Man freut sich wie „gut“ die Politik die „Corona-Krise“ gemeistert hat, spendet für Greenpeace und Mission Lifeline und wegen des neuen Hitlers in Moskau nimmt man auch ein bisschen inflationäre Enteignung  hin und hat schon brav die 50.000 Euro vom Oma Ernas Erbe aus Hannover in Habecks Wärmepumpenlobbyismus gesteckt.

Ganz anders sieht das dagegen in Ostdeutschland aus, statt Ukraine- und Regenbogenfahnen sieht man dort je nach Region Sachsen- oder Thüringenflaggen, auffällig ist, dass aber auch im vermeintlich abgehängten Dunkeldeutschland kaum noch schwarz-rot-gold zu sehen ist, zu viel ist in den letzten Jahren zwischen Berlin/Bonn auf der einen und Zittau, Sonneberg oder Schwedt auf der anderen Seite kaputt gegangen. Im Atlas der Bundesregierung sind diese Orte allerdings sowieso nicht präsent, man stelle sich nur die Außenministerin vor einer Deutschlandkarte auf der Suche nach diesen Städten vor.

All das hat dazu geführt, dass die Ostdeutschen bei den großen Narrativen unserer Zeit (Klima, Ukraine, Corona, Gender, Migration, Digitalisierung) oftmals genau die Gegenposition zu der „von oben“ verordneten Einnehmen. Der ein oder andere weiß darüber hinaus noch sehr gut aus DDR-Zeiten wie man zwischen den Zeilen liest oder etwas drastischer ausgedrückt: Er merkt, wenn er für dumm verkauft wird. Beispielswese wenn man aus Schulden ein „Sondervermögen“ macht und der Steuerzahler unhinterfragt für die Rüstungslobby haften muss. Für die AfD spricht für viele Ostdeutsche einerseits, dass sie eine Partei von Leuten mitten aus dem Leben ist: Existenzgründer, Handwerker oder Ingenieure verstehen in der Regel mehr von Realpolitik als Studienabbrecher, Kinderbuchautoren oder Callcenter-Aushilfen. Andererseits zeigt sich: Nie fand sich weniger Qualität bei den politischen Akteuren als im aktuellen Bundestag – und zwar von der CDU bis zur Linken. Im Westen nimmt man diese Entwicklungen aber kaum war. Dort fragt man sich kopfschüttelnd, warum die Ossis auch nach bald 35 Jahren keine „guten“ Bundesbürger geworden sind?

Schlechte Demokraten im „besten Deutschland aller Zeiten“?

Doch all das das rächt sich nun. Nach den verschiedenen politischen Enteignungs- und Bevormundungsexzessen von der Treuhand bis zur „Zeitenwende“ ist für viele jetzt endgültig das Maß voll. Spätestens die bereits angesprochene Heizpumpengeschichte kollidiert fürchterlich mit Arbeitslosigkeit, den fehlenden Vermögen und zumeist nicht vorhandenen sozialen Kapital. Das zumeist faktenfreie, von transatlantischen Lobbyisten getränkte, hypermoralische Geschwätz eines Bundesuhus oder einer Brüssler Cruella de Vil hat parallel dazu viele Ostdeutsche erkennen lassen, dass derlei Figuren keineswegs ihr Wohl im Sinn haben. Der innere Widerstand wird daher nun immer öfter auch nach außen getragen. In der Konsequenz wird das unterstützt bzw. gewählt, was dem Berliner Politikzirkus vermeintlich am meisten schadet: Die AfD. Sie hat es geschickt genutzt, den Frust der Ostdeutschen aufzufangen. Dabei haben ihr allerdings zwei Faktoren in die Karten gespielt: Die (Selbst-)Zerstörung der Linken, welche einstmals als kompromisslose ostdeutsche Identitätspartei fungierte, sowie die „dümmste Regierung Europas“ (S. Wagenknecht), die wohl auch die dümmste Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik überhaupt ist, obwohl das letzte Kabinett Merkel bereits eine Klasse für sich darstellte. Verschärfend kommt hinzu: Eine total gescheiterte und enthemmte Migrationspolitik fliegt uns tagtäglich um die Ohren, gefühlt vergeht kein Tag mehr ohne Messerstecherei oder Freibadgerangel. Wer das nicht bemerkt, verbringt sein Leben offenbar ausschließlich im Homeoffice im Berliner Prenzelberg oder München-Schwabing zwischen Amazon und Lieferando.

Ein zweites 1989 darf es nicht geben

Vielleicht lag es ja am vielen Rammstein hören? Doch Spaß beiseite! Wie kann der Ossi nur AfD wählen, ausgerechnet jetzt, nachdem Die Linke endlich im politischen (West-)Berlin angekommen ist und Sahra Wagenknecht durch Carola Rackete ersetzt hat? Marco Wanderwitz (CDU), ehemaliger Ostbeauftragter (!) der Bundesregierung, der seinen Bundestagswahlkreis an einen AfD-Politiker verloren hat, biedert sich als besonders „guter“ Ossi im Westen an und fordert gleich ein komplettes AfD-Verbot! Warum sich auch dem Gegner politisch stellen? Man kann jetzt schon darauf wetten, dass das der im Osten personell tief verwurzelten Chrupalla-AfD noch ein paar Prozentpunkte mehr bei Umfragen bringen wird, denn genau von diesen Verbotsorgien haben die Menschen dort genug. Genau wie von der anachronistischen Gleichsetzung der AfD mit der NSDAP und der Partei Die Linke mit der SED, doch Ex-Bundespräsident Gauck schert das freilich wenig, er setzt ganz auf die Hufeisen-Totalitarismuskeule und wähnt sich wie sein Nachfolger immer noch „im besten Deutschland, das es jemals gegeben hat“ oder wie es der Ex-Pfarrer mitsamt geschickt vermarkteter Pfizer-Werbung ausdrückt: „Deutschland ist doppelt geimpft: Wir hatten eine braune Diktatur, eine rote. Und eine weitere wollen wir nicht. Also: Wir bleiben bei unserer relativ gut funktionierenden, liberalen Demokratie.“ Es lässt sich halt nicht ändern, dass die „Ossis eben eine „sehr starke Rückbindung an Autoritäres“ haben. Man fragt sich in welchem Land der gute Mann die letzten dreieinhalb Jahre verbracht hat.

Konkurrenz droht der AfD jedoch von einer anderen Partei, die noch gar nicht gegründet ist: „Eine eigene Partei von Wagenknecht könnte in Thüringen einer Umfrage zufolge viel Zuspruch bekommen und sogar stärkste Kraft werden. Mit 25 Prozent läge sie nach einer Insa-Umfrage aktuell im Freistaat vorn“ schrieb der Merkur Mitte Juli. Und tatsächlich: In Berlin hat sich eine linke „Was Tun?!“-Gruppe formiert, die im September mit einer größeren Veranstaltung an das Licht der Öffentlichkeit gehen will. Mit dabei sollen neben echten linken Urgesteinen man munkelt über zehn Bundestagsabgeordnete –, die bereits ihre Bereitschaft erklärt haben mit in die neue Partei eintreten wollen, auch „weitere Gäste aus Aktivismus und Politik“ sein. Zuletzt hatte beispielsweise die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot ihre Bereitschaft zum Mitmachen bekannt gegeben. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass im Herbst etwas passiert und die neue „Wagenknecht-Partei“ (so wird sie ganz bestimmt nicht heißen) 2024 bei der Europawahl erstmals antreten wird. Nicht nur in Thüringen bekäme sie jede Menge Zuspruch, die deutsche Parteienlandschaft würde komplett neu aufgestellt werden. Die AfD entstand 2013, weil damals die CDU einen heftigen Schwenk in die „Mitte“ vollführte, zuvor die D-Mark und kurz danach die Grenzen aufgab, Die Linke geht zehn Jahre später unter, weil sie eine zweite grüne Partei sein will und ihr ureigenes Klientel mit den Stiefel vor die Tür gesetzt hat. Hier kommt die neue, antiwoke Wagenknecht-Partei als mögliche Nutznießerin einer riesigen politischen Repräsentationslücke ins Spiel. Im Westen können diese beiden Entwicklungen und warum sie gerade in Ostdeutschland auf fruchtbaren Boden fallen – nur die wenigsten Nachvollziehen, denn man hat dort die Ossis immer noch nicht verstanden, nein man will sie scheinbar auch nicht verstehen. Daher ist auch der politisch-mediale Gegenwind enorm. So gibt sich der ehemalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) fassungslos über die Begeisterung zahlreicher Ostdeutscher für die AfD-Vorsitzende Alice Weidel. Er beklagt bei Markus Lanz: „Dass eine ostdeutsche Landbevölkerung, die eher illiberal ist, was Homosexualität und so weiter angeht, eine Frau toll findet, die lesbisch ist, in der Schweiz wohnt und sich ganz anders verhält, als sie auftritt, ist mir wirklich ein Rätsel“. Das mache ihn „richtig wütend“. Dass es der „ostdeutschen Landbevölkerung“ vielleicht um Inhalte und eine rationale Politik geht und es ihr völlig egal ist ob Weidel auf Männer oder Frauen steht – auf diese Idee kommt Mr. „Ein Teil dieser Antworten könnte die Bevölkerung verunsichern“ natürlich nicht. Ganz in dieser „Logik“ ist eine Wagenknecht-Partei vom anderen Ende des politischen Hufeisens beispielsweise für die Frankfurter Rundschau – natürlich auch „links und autoritär“.

Für viele aus der Bankenmetropole, Düsseldorf, München oder Bonn, so auch bei Springer-Chef Mathias Döpfner, ist auch nach bald 35 Jahren Anschluss bzw. „Wiedervereinigung“ klar: „Die Ossis sind entweder Kommunisten oder Faschisten. Dazwischen tun sie es nicht. Eklig“ Na dann, Prost Mahlzeit, lieber Herr Döpfner. Mögen die Spiele beginnen!

(Bild von Wolfgang van de Rydt auf Pixabay)