Die zweite Abwicklung und der tiefsitzende Frust: Bleiben die „Fachkräfte“ wegen ostdeutscher „Vorbehalte“ weg?

Fachkräftemangel durch Migration beheben, Digitalisierung immer und überall, „Kampf gegen rechts“. Bei den mantraartigen Problemlösungsvorschlägen renommierter westdeutscher Ökonomen für den abgehängten Osten kann man nur noch gelangweilt mit dem Kopf schütteln. Oder einmal die echten Probleme benennen.

Ein Meinungsbeitrag von Sven Brajer

Von 1994 bis 2007 war der promovierte VWL-er Joachim Ragnitz als Abteilungsleiter am Institut für Wirtschaftsforschung Halle tätig. Seit 2007 ist er stellvertretender Geschäftsführer der Niederlassung Dresden des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung und Lehrbeauftragter an der TU Dresden. Dort wurde er 2011 zum Honorarprofessor ernannt. Ende Februar 2023 äußerte sich der gebürtige Niedersachse gegenüber dem MDR, dass er insbesondere auf noch mehr Digitalisierung und ausländische Fachkräfte setze, um die aktuelle wirtschaftliche Misere im Osten in den Griff zu bekommen – unkonkrete Patentrezepte, die man seit Jahren aus den westlich besetzten „Leuchttürmen“ in Dresden oder Halle/Leipzig hört – während der Mittelstand weiter dezimiert wird und der Wohlstand großer Teile der Bevölkerung wie Butter in der Sonne dahinschmilzt.

Der Elefant im Porzellanladen, die „dümmste Regierung Europas“ (Sahra Wagenknecht) und ihre katastrophale Energie- und Außenpolitik, kommt dazu zumeist kritiklos davon – wer beißt schon gern die Hand, die ihn (aus der Steuerzahlerkiste) füttert? Neben den immer noch um 20 Prozent niedrigeren Löhnen im Osten – ein Problem was seit 1990 von keiner Bundesregierung als berücksichtigenswert erschien – kritisiert Ragnitz die zu langsame Anerkennung von ausländischen Bildungsabschlüssen und gewisse Ressentiments: „Viel größer scheint mir das Problem zu sein, dass gerade der Osten nicht so attraktiv ist, um herzukommen. Zum einen, weil die Löhne gering sind, zum anderen, weil teilweise auch Vorbehalte gegen Zuwanderung von Ausländern bestehen.” In die gleiche Kerbe haut auch Oliver Holtemöller vom Halleschen Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung, gebürtiger Hesse und ein Nachfolger von Ragnitz im Leibnitz-Zentrum Halle, er meint: “Es gibt einfach, je Einwohner, deutlich mehr rechtsextreme Straftaten in Ostdeutschland als in Westdeutschland und das sind Dinge, die wahrgenommen werden.” Beide haben mit ihren Aussagen nicht unrecht, stellen aber nicht die Frage, warum das so ist? Es beschleicht einen das Gefühl, dass sie auch nach Jahrzehnten die ostdeutsche Mentalität nicht verstanden haben – ein Phänomen zahlreicher akademischer Glücksritter aus dem Westen, die nach 1990 in den Osten kamen.

Denn viele ältere Ostdeutsche erleben in den letzten Jahren ihre zweite Abwicklung: Das bisschen Wohlstand, das sie sich nach der ökonomischen „Schocktherapie“ der Nachwendejahre in den Nuller- und 2010er Jahren hart erarbeitet haben, wurde besonders dem Mittelstand durch die katastrophalen „Corona-Maßnahmen“, also zerstörte Lieferketten und ausbleibende Einnahmen, zum Teil wieder entrissen. Seit 2022 verknappt und verteuert das Berliner bzw. Brüsseler Sanktionsregime die Energielieferungen- bzw. Preise künstlich. Insolvenzen in der Gastronomie und dem produzierenden Gewerbe stehen auf der Tagesordnung, viele Rentner und Sozialleistungsempfänger wissen nicht mehr, wie sie um die Runden kommen sollen. In diesem sozial abgehängten Umfeld, verwundert die hohe Schulabbrecherquote wenig. Wie wäre es also einmal mit konkreten Vorschlägen statt mit der Einwanderung von „Fachkräften“, die ja bereits seit 2015 läuft und kaum Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt brachte. Im Gegenteil, die Sozialsysteme der Bundesrepublik sind kurz vorm Implodieren, die Sicherheitslage in Städten wie Berlin ist katastrophal.

All das nehmen die Menschen im Osten wahr. Dagegen hat es die Bundesregierung bis heute nicht geschafft, ein System für tatsächlich benötigte Fachkräfte – wie in Kanada oder Australien – zu installieren. Dazu müsste sie einerseits auf den demographischen Wandel beispielsweise mit einer deutlichen Erhöhung des Kindergeldes reagieren und Kitas kostenlos gestalten, andererseits den aufgeblähten Staatsapparat sowie die Wirtschafts- und Finanzbürokratie abbauen, das würde gerade im Osten den Mittelstand und die vielen Selbstständigen stärken. Stattdessen werden Milliardenschulden für die Bundeswehr als „Sondervermögen“ deklariert, Hausbesitzer mit völlig überzogenen “Klimaschutzmaßnahmen” in Existenznöte gedrängt und aufgrund der hohen Energiepreise achselzuckend zugesehen, dass Firmen wie BASF, Linde oder VW den unattraktiven Wirtschaftsstandort Deutschland den Rücken zumeist Richtung USA oder China kehren. Dass sich die Begeisterung beim schon reflexhaften Schrei nach mehr „Fachkräften“ rechts der Elbe mittlerweile in Grenzen hält, hat also Gründe, die nicht erst über Nacht entstanden sind. Und da der universale „Kampf gegen rechts“ mittlerweile derart lächerlich betrieben wird – und gegen wirklich jedermann oder jede Frau aufgefahren wird, die nicht auf Regierungslinie sind, muss man sich in Berlin und Bonn nicht wundern, wenn die tatsächlich Rechtsextremen im Osten wieder Zulauf erhalten. Wie bestellt, so geliefert.

Foto: Pixabay, Ralphs_Fotos

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