
Eine Rezension von Sven Brajer
In seinem neuesten Buch (erschienen bei De Blauwe Tijger: Groningen 2023, 300 S., 23 €) gibt Herausgeber Ullrich Mies mitsamt 19 Autoren, die überwiegend anschauliche Einblicke ihrer Exilerfahrungen liefern, Antworten, weshalb sie Deutschland bzw. Österreich in den letzten Jahren den Rücken gekehrt haben.
Bereits in der Einleitung, die mit dem Zusatz „Die westliche Welt im Ausnahmezustand“ versehen ist, nimmt Mies in gewohnter Weise kein Blatt vor den Mund und zeigt auf, wohin die Reise geht. Dabei zeichnet der bereits seit 38 Jahren in den Niederlanden Lebende das Bild von Staaten, welche den permanenten Ausnahmezustand ausgerufen haben – eine Entwicklung die mit einer nie dagewesenen Vertrauenskrise vieler Menschen gegenüber Politikern, Medien und staatlichen sowie wissenschaftlichen Institutionen einherging- und geht. Spätestens seit Beginn des „Corona-Regimes“ (S.11 bzw. auch Herfried Münkler Anno 2021) sieht Mies den sogenannten Wertewesten und Deutschland mittels „Kriegszustand“ im Umbau zu einer totalitären Gesellschaft und einem „Konzernstaat“ im Mittelpunkt. Dabei sind die omnipräsenten politisch-medialen Agenden „Corona“, „Klimakrise“, Ukraine-Krieg – und seit kurzem „künstliche [Pseudo-]Intelligenz“ – nur die Spitze eines gigantischen transatlantischen Eisbergs, an dessen Hang bereits seit der „Wende“ 1990 (S. 12) besonders durch die Orgien im Finanz- und Wirtschaftssystem immer mehr Schneemassen aufgefahren wurden. Mies konstatiert für das „beste Deutschland aller Zeiten“ (Frank-Walter Steinmeier, 2020) daher zu Recht einen „Niedergang auf allen Ebenen“ (S.19). Und tatsächlich erkennen immer mehr Menschen, dass dieses Land und seine Gesellschaft politisch, moralisch, sozial und finanziell nicht mehr zu retten ist.
Doch nicht überall auf der Welt sieht es (ganz) so düster aus: Bereits vor 2020 war Schweden ein beliebtes Exil – nordischer Liberalismus, viel unberührte Natur und ein (noch) funktionierender sowie fairer Sozialstaat haben viele Bundesbürger bereits damals angesprochen. Die Österreicherin Sophia-Maria Antonulas beschreibt im ersten Beitrag „Menschen selbstverständlich die Hand reichen“ wie sie 2021 aus Berlin nach Stockholm ging. Dort suchte sie vergebens nach Maskenträgern und die Medien kannten tatsächlich noch andere Themen außer „Corona“ – nur beim Thema „Impfen“ zeigte sich auch im hohen Norden – wenn auch weniger vehement – der mächtige Einfluss von WHO und Co. Kayvan Soufi-Siavash alias Ken Jebsen, dessen erfolgreicher YouTube-Channel mit mehreren hunderttausend Abonnenten auf dem Höhepunkt der „Corona-Krise“ über Nacht der Stecker gezogen wurde, gibt eine ähnliche Diagnose. Sein Beitrag „Skandinavien | Demokratie gibt es nicht geschenkt“ ist eine lesenswerte, weil schonungslose Abrechnung mit Deutschland, den Großteil seiner Bürger/Untertanen und dem politischen System: „Unsere repräsentative Demokratie ist nichts anderes als das effizienteste Mittel einer obszön reichen Klicke, das Volk von tatsächlicher Mitbestimmung maximal fernzuhalten. Nicht der Bürger wird in repräsentativen Demokratien repräsentiert, sondern der Geldadel. Die oberen 5 %. Das erklärt Bankenrettung, Aufrüstung und permanente Kriegseinsätze“ (S. 240). Daher ist nachvollziehbar, warum auch er es vorgezogen hat, lieber „in den weiten Skandinaviens unbehelligt seiner Arbeit nach[zu]gehen“ (S. 248) – auch wenn Sven Böttger in seinem Beitrag über Dänemark: „Freigang als Bewährung“ zunächst eine gruselige Dystopie einer ultrakapitalistischen, durchdigitalisierten, streng bürokratischen und reaktionären Überwachungsgesellschaft gezeichnet hat. Doch all das ist für ihn offenkundig besser zu ertragen, als das „extreme[n] und sofortige[n] Umkippen eines ganzen Volkes ins Totalitäre.“ (S.67) Was dann doch für das kleine Land im Norden spricht: „Freundlichkeit. Solidarität. Hilfsbereitschaft. Und rote Linien.“ (S. 72). Treffer. Versenkt.
Den Unterschied zwischen Deutschland und Österreich beschreibt dagegen Andrea Drescher in ihren Beitrag „Als deutsche Maßnahmenkritikerin in Österreich“ treffend mit „Der Deutsche gehorcht, der Österreicher auch, aber unter sichtbarem Protest.“ (S. 83). Auch die Piefke- „Antifa“ ist kurioserweise „deutscher“, als es ihr schlimmster Alptraum sein könnte (S. 88): Gewalt bei Demonstrationen gegen Andersdenkende und die dümmliche Hommage an die Pharmaindustrie „Wir impfen euch alle!“ auf Bannern konnte man nur beim europäischen Musterland des woken Wertewestens nördlich der Alpen „erleben“. Dann bitte doch lieber „Durch‘s Reden kummat‘ Leit z‘samm“ in Österreich (S.90.)!
Wer will kann es aber auch exotischer haben: Simone Hörrlein hat den Sprung über den großen Teich bereits 2018 nach Kanada („Endlich wieder frei atmen“) gewagt, da sie keine Lust hatte weiter Zahlmeister für „dieses gescheiterte System und eine gescheiterte EU“ (S. 91) und „den inszenierten Niedergang des Industriestandortes Deutschlands“ (S. 93) zu sein – eine weise Entscheidung. Auch wenn das WEF und Konsorten auch vor dem zweitgrößten Staat der Erde kein Halt mach(t)en, zeigte sich „Wir wurden wie Freunde aufgenommen und ich musste mich an dieses freundliche Miteinander und die Hilfsbereitschaft der Menschen erst einmal gewöhnen.“ (S. 96) – für deutsche Großstädter sicher eine neue Erfahrung – genau wie die Bilder wütender kanadischer LKW-Fahrer, die keine Lust auf Pfizers Premium-Produkte hatten, um ihren Job weiter ausführen zu können. Im Süden der „Neuen Welt“ schwärmt Wolfgang Jeschke von indigenen und christlichen Werten: In Paraguay sind neben „Kollaboration und Kolibri“ auch „Familie, Tradition, Respekt, Freundlichkeit, Schöpfung, Jesus (nicht der kirchliche, sondern die Lehre seines Wortes) zentrale Attribute des Gemeinschaftslebens. Anderslebende gibt es hier auch. Aber das ist Privatsache. Es wird akzeptiert. Aber nicht ideologisch überhöht“ (S. 107). Ein Grund für den in der DDR aufgewachsenen und später ins russische Nischni Nowgorod ausgewanderten Remo Kirsch („Russisch-deutsche Dorfgemeinschaft“) lag in seiner Erziehung: „Wir sind damals russisch-freundlich erzogen worden und deshalb offener für Russland. Im Westen ist das genau andersherum. Dort sind alle pro Amerika erzogen worden und Russland wurde immer als gefährlich und böse dargestellt. Das kann jeder täglich in der Berichterstattung über die Ukraine-Krise erkennen“ (S. 127) Doch im Gegensatz zu Russland ist die Bundesrepublik für Kirsch „am Arsch.“ Sie „wird abgewickelt“ (S.141). Gelernte DDR-Bürger haben so etwas schon einmal erlebt. Ähnliche Erfahrungen – besonders die Willkür der Staatmacht während der Corona-Krise – schildert Anselm Lenz, den es nach Polen („Bereits nach einem Lockdown hatten die praktischen wie intelligenten Polen den Spuk durchschaut“, S. 165) verschlagen hat („Nur weg aus Deutschland“) und Tom-Oliver Regenauer, für den die Schweiz ein „Ausnahmeland inmitten Europas“ (S. 213) ist. Walter Weber setzt ziemlich am Schluss einen Kontrapunkt: Im Beitrag „Deutschland. Ich bleibe – das ist unser Land“. Er will den „Haien des WEF“ auch als „Globalisten“ (S. 273) bekannt, nicht die Bundesrepublik überlassen und schließt mit einer etwas naiven Hoffnung: „Da ich Optimist bin, hoffe ich auf ein Einsehen der Mehrheit.“ (S. 280). Doch allein Hoffnung wird zu wenig sein. Aufklärung dagegen, wie sie die zahlreichen lesenswerten Beiträge, die Ullrich Mies zusammengetragen hat, liefern, sind ein effektiverer Schritt.
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(Foto: Nicole Klesy/Pixabay)