
Was im Osten gelesen wird, bestimmen auch 32 Jahre nach der „Einheit“ zumeist Westdeutsche – die Kluft zwischen veröffentlichter Meinung und ostdeutschen Befindlichkeiten ist unübersehbar. Anstatt die Lebensrealität vor Ort im Blick zu haben, werden mit hoher Schlagzahl globalistische Agenden mit einseitigem transatlantischem Fokus durch das mediale Dorf getrieben.
Eine Analyse von Sven Brajer
Wirft man einen Blick auf die 20 auflagenstärksten regionalen Tageszeitungen in der Bundesrepublik (2. Quartal 2022) finden sich darunter fünf Blätter, die im Osten Deutschlands angesiedelt sind. Auf Platz sieben steht die Freie Presse aus Chemnitz mit einer durchschnittlichen Auflage von 202.286 Zeitungen pro Tag. Auf Platz zehn folgt die Sächsische Zeitung aus Dresden mit 181.159 verkauften Zeitungen, auf Platz zwölf die Thüringer Zeitungen der Funke-Medien-Gruppe (Thüringer Allgemeine aus Erfurt, die Thüringische Landeszeitung aus Weimar sowie die Ostthüringer Zeitung aus Gera) mit zusammen 172.370 Exemplaren, auf Platz 18 die Volksstimme aus Magdeburg mit 139.389 sowie auf Platz 20 die Mitteldeutsche Zeitung aus Halle/Saale mit einer Auflage von 133.769 Stück.
Interessante Eigentumsverhältnisse
Die Freie Presse gehört der Medien Union GmbH mit Sitz in Ludwigshafen am Rhein. Geschäftsführer Thomas Schaub ist seit 2008 Mitherausgeber der Süddeutschen Zeitung und hat in diesem Gremium den Vorsitz inne. Die Sächsische Zeitung gehört zu 60 Prozent zu Gruner + Jahr, bis vor kurzem eine Tochter der Bertelsmann SE & Co. KGaA aus Gütersloh. Seit 1. Januar 2022 ist Gruner + Jahr eine Tochtergesellschaft von RTL Deutschland. Die anderen 40 Prozent der Anteile der Sächsischen Zeitung hat die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft, ein Medienbeteiligungsunternehmen der SPD mit Sitzen in Berlin und Hamburg. Die Thüringer Allgemeine aus Erfurt, die Thüringische Landeszeitung aus Weimar sowie die Ostthüringer Zeitung aus Gera sind Teil der Funke-Medien-Gruppe aus Essen. Sowohl die Volksstimme aus Magdeburg als auch die Mitteldeutsche Zeitung aus Halle, werden von der Mitteldeutschen Verlags- und Druckhaus GmbH, die zur Bauer Media Group mit Sitz in Hamburg zugehörig ist, verlegt. Damit befinden sich die fünf größten ostdeutschen Tageszeitungen allesamt im Besitz von Verlegern aus Westdeutschland, die in der Regel der SPD oder der CDU nahestehen.
Auf den weiteren Plätzen sieht das Bild ähnlich aus: Die Leipziger Volkzeitung mit 131.813 Exemplaren gehört zur Madsack Mediengruppe aus Hannover. Diese wiederum ist Teil des Redaktionsnetzwerks Deutschland: Fast ein Viertel aller Anteile daran hält wiederum die bereits erwähnte sozialdemokratische Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft. Die Ostsee-Zeitung aus Rostock mit Ihren derzeit 104.059 verkauften Exemplaren ist ein Tochterunternehmen der Lübecker Nachrichten. Seit Ende 2009 wird das Blatt direkt als Tochterunternehmen der Verlagsgesellschaft Madsack in dessen Unternehmensbilanz aufgeführt. Die Niedersachsen besitzen auch die Märkische Allgemeine Zeitung aus Potsdam, welche derzeit eine tägliche Auflage von 85.682 Exemplaren hat. Von den hier aufgeführten 10 ostdeutschen Tageszeitungen stammen im Oktober 2022 die Hälfte der Chefredakteure aus dem Westen.
Daneben existiert das bereits mehrfach vor dem finanziellen Aus stehende ehemalige SED-Flaggschiff Neues Deutschland, das sich in den letzten Jahren wenig erfolgreich als zweite TAZ versucht hat. Mittlerweile wird am Berliner Franz-Mehring-Platz als Genossenschaft agiert – an der geringen Auflage, welche gerade noch 16.000 tägliche Leser erreicht, hat auch das nichts geändert. Etwas besser sieht es bei der antiimperialistischen Jungen Welt aus, die mit „einer stabilen Auflage von 23.000 Exemplaren eine der ganz wenigen Zeitungen [ist], die trotz Branchenkrise in den letzten 20 Jahren ihre verkaufte Auflage sogar noch entwickeln konnte.“
Was die Ossis wollen
Die einzige größere ostdeutsche Tageszeitung (die sich nicht im Besitz von Westdeutschen befindet, ist die Berliner Zeitung mit einer Auflage von 81.600 Exemplaren. In einem facettenreichen Essay „Was wir wollen“ erläutert das Unternehmerehepaar Silke und Holger Friedrich aus Sachsen-Anhalt bzw. Ostberlin am 8. November 2019 den Kauf der Zeitung. Als eine Art Korrektiv soll der Finger in die Wunde einer zu bequem gewordenen, transatlantisch infiltrierten Gesellschaft gelegt werden, denn:
„Etwas Elementares ist vor 30 Jahren durch den Westen beiseitegeschoben worden, etwas, das heute schmerzlich fehlt. Weshalb diese Stadt, dieses Land und ja, selbst der ganze Kontinent inzwischen auf viele ebenso ‚langweilig‘ nur um sich selbst kreisend wirken wie die DDR in den späten Tagen ihrer Existenz. Ungerechtigkeit zwischen den Generationen und umweltpolitische Ignoranz, technologische Hilflosigkeit und Fortschrittsangst, Meinungshysterie, das Auseinanderlaufen der Gesellschaft nach links wie rechts und ein seit Jahren anhaltendes Unvermögen etablierter Parteien, souverän auf solche Eskalationen zu reagieren: Das sind die Symptome dieser Entwicklung.“
Dazu hat man am eigenen Leib erfahren, dass politische Systeme von heute auf morgen kollabieren können, was nicht immer schlecht sein muss: „Bei uns im Osten Deutschlands Sozialisierten kommt mittlerweile hinzu, dass wir mit der Erfahrung des friedlichen Systemwechsels von 1989 sehr wohl um die Chancen echter struktureller Veränderungen wissen, zudem ein feines Gespür für doppelte Standards, für Doppelmoral entwickelt haben.“ Hypermoral ist der Tod jeder Pressefreiheit und wie eine unheilvollbare Prophezeiung auf die Jahre 2020/2022 schreibt das Paar: „Eine vierte Gewalt darf keinesfalls mit doppelten Standards agieren. Dort, wo sie es wiederkehrend und mit großer Selbstgewissheit tut, verliert sie Glaubwürdigkeit, zwangsläufig!“ Tatsächlich kann bzw. konnte in der Berliner Zeitung zur Corona– bzw. Ukraine-Krise hin und wieder auch der ein oder andere differenzierte Bericht gelesen werden. Als eine von wenigen deutschen Redaktionen gibt es auch Kritik am bürokratischen Leviathan in Brüssel: „Wir fragen uns, ob unsere Politiker tatsächlich annehmen, dass wir als Bürger Europas die undemokratische Verteilung von Posten in Brüssel nicht sehen können; dass uns nichts auffällt, wenn der Bürgermeister Berlins durch die Welt reist und als Anregung den Mietendeckel — woher nochmal? — mitbringt.“
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