
Alle Macht den Räten…
Unter dieser einer Gewerkschaft durchaus angemessenen aber dennoch provokanten Losung stand am 7. September eine öffentlich zugängliche Medienpolitische Tagung von ver.di und DGB, die sich im Wesentlichen mit der durch die aktuellen Ereignisse in Kritik geratene Rolle der Gremienräte befassen wollte.
Ein Gastbeitrag von Torsten Küllig
Ich war an diesem Tag für die Ständige Publikumskonferenz der öffentlich –rechtlichen Medien in Berlin.
Die Landesbezirksvorsitzende von ver.di Bayern und Rundfunkrätin des Bayerischen Rundfunks Frau Luise Klemens
eröffnete die Veranstaltung mit einem Impulsvortrag, der sich im Wesentlichen damit befasste, dass die durch den
Schlesinger–RBB–Skandal in Kritik geratenen Aufsichtsgremien zu Unrecht unter Beschuss geraten. Ich gebe zu, an dem
Punkt, wo Frau Klemens von Ritter und Ritterinnen sprach, bin ich intellektuell ausgestiegen. Mag vielleicht schon
Altersstarrsinn sein, aber ich steige inhaltlich immer dann aus, sobald ich unsinnige Genderschreibweisen lese oder
gar den „Glottisschlag“ –gemeint ist die Sprechpause vor dem „…innen“– ertragen muss. Dieser wurde insbesondere
von der Tagungsmoderation Sissi Pitzer, die seit den 80er Jahren für den Bayrischen Rundfunk arbeitet und seit kurzem
über Medien, Digitalisierung und Ethik der KI berichtet, in konsequent unerträglicher Weise unters Auditorium
gebracht. Wieso erfahrene Journalistinnen, die auf eine lange berufliche Erfahrung zurückblicken können, dies ohne
Not freiwillig tun, wird mir wohl immer wieder ein Rätsel bleiben.
Aber das ist ja nicht Thema des Abends. Das zentrale Thema war ja die Diskussionsrunde zum Thema „Neue und alte
Aufgaben für die Rundfunkräte“ mit Frau Klemens, der Kommunikationswissenschaftlerin Prof. Dr. Horz–Ishak, dem
Intendanten des Deutschlandradios Stefan Raue und der Staatssekretärin und Bevollmächtigten des SPD geführten
Landes Rheinland–Pfalz beim Bund und für Europa und Medien Frau Heike Raab.
Letztere verspätete sich ein wenig. Ich möchte hier auch nicht spekulieren, aber es gibt Führungskräfte, die setzen
solche Methoden als Machtmittel ein, um zu dokumentieren, wer in so einer Runde wirklich wichtig ist. Aber vielleicht
war auch einfach nur der Berliner Feierabendverkehr für die Verspätung verantwortlich.
Die fast einstündige Diskussionsrunde befasste sich vorwiegend mit der gegenwärtigen und zukünftigen Rolle der
Gremienräte, vorwiegend jedoch aus der Innensicht. Nach meinem Gefühl war es eine Mischung aus Ohnmacht und
Wunden lecken. Den interessantesten Beitrag leistete Frau Prof. Dr. Horz–Ishak mit Verweis auf Ihre Initiative eines
Publikumsrates. Als Ständige Publikumskonferenz arbeiten wir derzeit an einem ähnlichen Modell, was in einer Art
„Zweiten Kammer“ sowohl der Intendanz als auch den Gremienräten eine Rückkopplung durch das Publikum
ermöglichen soll. Denn auch wenn das Thema „Vielfalt“ bei der Gremienbesetzung in dem Podium als das zentrale
Problem hervorgehoben wurde, stellt sich ja vielmehr die Frage, ob nicht bei der ganzen Vielfaltsdebatte, die
Perspektiven der Mehrheitsgesellschaft auf der Strecke bleibt und dies auch ein Grund für die schwindende Akzeptanz
der öffentlich–rechtlichen Anstalten darstellt. Aber immerhin, es wird erkannt, dass die „Gremienhütte“ brennt.
Das merkte man auch an der regen Diskussion, die der Podiumsveranstaltung folgte.
Auch ich stellte zwei Fragen, die sich mit den Gremienräten befasste. Denn aus meiner Sicht haben die Gremienräte zwei grundsätzlich strukturelle Probleme:
Zum einen brauchen die Gremienräte nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum ZDF-Staatsvertrag nur
politikfern aber nicht politikfrei organisiert zu sein und zum anderen haben die Gremienräte nachweislich zu wenig
Einfluss auf das operative Geschäft, was konkret meint, dem öffentlich–rechtlichen Rundfunk fehlt es an
Ausgewogenheit, was hauptsächlich an den inneren Einstellungen der Journalisten liegen mag. Als Beispiel nannte ich
in diesem Zusammenhang die übergriffige Anwendung der sogenannten Gendersprache, die vielleicht etwas Gutes
bezweckt, aber für viele Bürger das Gegenteil bewirkt. Wenn zwei Drittel der Rezipienten den „Glottisschlag“ und die
anderen Genderunsinnigkeiten ablehnen aber die Sender sich weiterhin davon unbeeindruckt zeigen, dann ist es auch
ein Versagen der Kontrollgremien im Sinne der Mehrheitsgesellschaft dies entsprechend einzufordern und vor allem
durchzusetzen. Letztendlich wäre dies auch nur, sich im Sinne der Empfehlungen des Rates für deutsche
Rechtschreibung einzusetzen.
Denn der Rat hat die Aufnahme von Asterisk („Gender–Stern“), Unterstrich („Gender–Gap“), Doppelpunkt oder
anderen verkürzten Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinnern in das amtliche
Regelwerk der deutschen Rechtschreibung ausdrücklich nicht empfohlen.
Den ersten Teil meiner Frage beantworte Staatssekretärin Raab, die gleichzeitig für die Landesregierung Rheinland–
Pfalz im Verwaltungsrat des SWR sitzt, sehr zurückhaltend. Natürlich ist es im ureigenen Interesse von Regierungen,
weiterhin nicht auf den Einfluss auf die Gremien zu verzichten, insofern kam ihre ablehnende Haltung zur Staatsfreiheit
der Gremienräte nicht unbedingt überraschend. Ob ihr Argument, Sie sei ja schließlich auch Staatsbürgerin und somit an demokratischen Prozessen und Gremien interessiert, in diesem Falle greift, soll jeder für sich selbst entscheiden. Aber dennoch hat sich Frau Raab in der Sache klar und souverän dem Vorwurf offen gestellt.
Der zweite Teil meiner Frage wurde mit weit weniger Interesse beantwortet. Im Gegenteil die „Glottisschlag–Ritterin“
Sissi Pitzer würgte mich mit meinen kritischen Anmerkungen zum Thema Gendern ab. Vermutlich fühlte sie sich
persönlich angegriffen, aber ich wollte nur die Perspektiven der Mehrheit wiedergeben, die sich ein gendersprachlich
undogmatisches Fernsehen wünscht.
Aber im Grunde war diese Reaktion symptomatisch und zeigt ein weiters Problem der gegenwärtigen Gremienräte.
Sie werden vielleicht in ihrer Struktur immer vielfältiger, aber bilden Sie damit wirklich die Lebenswirklichkeit der
Mehrheitsgesellschaft ab? Mit Mehrheitsgesellschaft meine ich die Nettosteuerzahler, die „Normalbürger“ also
Mutter, Vater, Kind(er) und PKW vor der Haustür. Diese Schicht trägt hauptsächlich unsere Gesellschaft und wird nach meiner Beobachtung immer weniger im öffentlich–rechtlichen Rundfunk berücksichtig. Offensichtlich scheint sich dieser Trend auch bei den Gremienräten so herauszubilden, zumindest wurde mir das an diesem Abend deutlich.
Auf das im Anschluss gehaltene Grußwort der stellvertretenden DGB–Vorsitzende Elke Hannack will ich nicht weiter
kommentieren, vielleicht nur so viel, dass ein Gewerkschaftsbund, der das dritte Entlastungspaket der
Bundesregierung als „.. ein insgesamt beeindruckendes Paket, das die Koalition in einer Zeit historisch beispielloser
Herausforderungen geschnürt hat“ lobhudelt und andere kritische Fragen ausblendet, mich als DDR–sozialisierten
Mitfünfziger eher an den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund erinnert.
Gegen Ende wurde dann es dann allerdings noch einmal spannend: Es ging um die Suche nach dem öffentlich–
rechtlichen Algorithmus. Was ist das? Ich gebe zu, ich hatte bis dahin nichts davon gehört. Dr. Henning Eichler
Vertretungsprofessur „Media Sciences and Digital Journalism“, Hochschule RheinMain hielt dazu einen interessanten
Impulsvortrag an den sich eine Diskussionsrunde mit Jörg Pfeiffer, Product Manager AI + Automation Lab beim
Bayerischen Rundfunk, Christoph Schmitz, ver.di–Bundesvorstand und Dr. Eckart Gaddum, Leiter Digitale Medien beim
ZDF anschloss.
KI–gesteuerte Algorithmen sind ja sicher jeden bekannt, YouTube, Amazon und andere Tech–Firmen nutzen sie. Aber
die bereits bestehenden Algorithmen werden natürlich den hohen Ansprüchen des öffentlich–rechtlichen Rundfunks
nicht gerecht. Es ist scheint wieder einmal ein typisches Projekt des öffentlich–rechtlichen Rundfunks zu werden, es
wird etwas bereits Bestehendes mit sicherlich hohem finanziellem und zeitlichem Aufwand gearbeitet. Ein
Algorithmus, der eben nach eigenen Angaben auch ethischen Ansprüchen genügen soll, macht mir im Zusammenhang
mit Medien aber eher Angst. Es sprach keiner so genau an, aber es wurde mir irgendwie bewusst, dass in so einer
Form eines Algorithmus die Gefahr besteht, dass eine Beeinflussung des Rezipienten nicht gänzlich ausgeschlossen
werden kann.
Mir ging irgendwie der Gedanke eines öffentlich–rechtlichen „Haltungsalgorithmus“ durch den Kopf, ob es so kommen
wird, weiß noch keiner, warten wir es ab.
Torsten Küllig ist stellvertretender Vorsitzender der Ständigen Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien e.V. Dort erschien dieser Beitrag als Erstes.
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