„Wohlstand für alle“ war einmal: Die Bundesrepublik auf dem Weg zum Entwicklungsland

Verwaltung, Infrastruktur und die öffentliche Sicherheit befinden sich in einer angespannten Situation. Die inflationäre Enteignung der deutschen Angestellten, Arbeiter, Sparer und Steuerzahler geht 2023 in die nächste Runde. Wenig überraschend konstatiert dazu der Finanzexperte Michael Every: Deutschland ist auf dem besten Weg zu einer Entwicklungsökonomie.

Ein Meinungsbeitrag von Sven Brajer

5 € für ein Fassbier in der ostdeutschen Provinz, 50 € für eine Fernverkehrskarte mit der Bahn, die letztes Jahr noch 30 kostete. „Wohlstand für alle“ das Credo von Ex-Kanzler Ludwig Erhard aus dem Jahr 1957 – das war einmal. Genauso wie der Spruch von Norbert Blüm: „Die Rente ist sicher“ (1997) heutzutage wie ein schlechter Witz daherkommt. Seit dem Beginn der „Flüchtlingskrise“ 2015, dem plötzlichen Auftauchen einer schwedischen Klima-Jeanne d’Arc 2018, der „Corona-Krise“ 2020 und im Zuge der Scholz’schen Zeitenwende 2022 hat sich das Gros der Deutschen daran gewöhnt, Zahlmeister für alles und jeden zu sein. Mit moralisch ausgestrecktem Zeigefinger regiert eine fremdgesteuert wirkende Politikerclique vermeintlich alternativlos von oben nach unten durch. Sachlich erklärt wird nichts mehr, für den Bürger gilt das Motto: Friss oder stirb. Wer nicht mitspielt, gilt als Spinner, „Leugner“ oder bekommt im schlimmsten Falle – manchmal zu Recht, manchmal zu Unrecht, den Nazi-Stempel.

Das verschreckt allerdings immer weniger Menschen, denn zu allen Zeiten gilt der Spruch des ehemaligen US-Präsidenten Abraham Lincoln: „Man kann einige Menschen die ganze Zeit und alle Menschen eine Zeit lang zum Narren halten; aber man kann nicht alle Menschen allezeit zum Narren halten.“ Im Osten des Landes merkt man das – aufgrund anderer historischer Erfahrung und purem Materialismus – derzeit (noch) stärker als im vom vierzig Jahre transatlantisch aufgepäppelten Rest des Landes. Aber auch dort geht es mittlerweile an das Eingemachte. Denn die deutsche Vasallentreue zu den wirtschaftlich und außenpolitisch angeschlagenen USA rächt sich mittlerweile bitter. Der Finanzexperte Michael Every betont in einem Interview mit der Berliner Zeitung, dass die seit der Bankenkrise im vorletzten Jahrzehnt verschleppte Krankheit des internationalen, vom US-Dollar dominierten Weltwirtschaftssystems nun wieder vollends ausbrechen werde. So wurde stets an den Symptomen herumgedoktert, die Krankheitsursachen aber verstärkt:

„Was in den USA mit der Bankenkrise passiert, kann man nicht getrennt von der gesamten Struktur der Weltwirtschaft betrachten. […] In den westlichen Volkswirtschaften wurden 15 Jahre lang unglaublich niedrige Zinssätze angeboten und plötzlich werden innerhalb eines Jahres die Zinssätze sehr aggressiv angehoben. Das führt sofort zu Problemen. Es zeugt aber von intellektueller Kurzsicht, zu glauben, die derzeitigen Ereignisse seien eine Überraschung oder ein Schock. Es handelt sich vielmehr um einen allmählichen Rückgang der Nachfrage und eine allmähliche Verschärfung der an die Kreditvergabe gebundenen Standards. Wenn die Zinssätze so hoch bleiben, kann es passieren, dass die Wirtschaft einen Kipppunkt überschreitet. Das wirtschaftliche Konstrukt, das wir seit der Finanzkrise von 2008 kennen, wurde auf einer sehr ineffizienten und ungerechten Wirtschaftsstruktur aufgebaut. Es hat sich eine Wirtschaftsform entwickelt, die auf Sand gebaut wurde, und das Fundament wird wackliger.“

Das trifft allerdings nicht auf alle Regionen und Staaten der Erde zu, wer das nicht glaubt dem sei ein Blick nach China, Vietnam, Uruguay, Nigeria oder die VAE empfohlen. Ganz übel trifft es jedoch die europäischen „Partner“ der USA in der EU. Ganz vorne mit dabei: Die zunehmend deindustrialisierte, vergreiste und seiner einstmals großen Dichter und Denker verlustig gegangene Bundesrepublik. Die massive politische bzw. wirtschaftliche Abhängigkeit von den USA bzw. China, sowie das plötzliche Versiegen des Zustroms russischer Rohstoffe – aus ideologischen Gründen – sowie das jahrelange Anhäufen eines gigantischen Schuldenbergs aufgrund einer deutschen Musterschülerpolitik, der es in erster Linie darum geht, die Welt zu retten, haben das Land an dem Rande des wirtschaftlichen Abgrunds gebracht: So konstatiert Every ungeschminkt:

„Deutschland ist auf Exporte nach China, Importe aus Russland und Waffen aus Amerika angewiesen. Wenn Deutschland sich weiter auf die USA verlässt, wird es scheitern, weil die amerikanische Wirtschaft das Tempo der eigenen Militärausgaben nicht aufrechterhalten kann, um Europa vor Russland zu verteidigen und den Zugriff auf Deutschland und Asien zu behalten. Amerika hat dafür nicht mehr die industrielle Basis.“

Ob Europa vor Russland „verteidigt“ werden muss, steht auf einem anderen Blatt, fest steht allerdings, dass Deutschlands Zeit als Exportweltmeister für immer der Vergangenheit angehören zu sein scheint:

„Was die Exporte nach China angeht, hat sich Deutschland verspekuliert. Die politische Ökonomie des Landes wurde völlig falsch eingeschätzt. Die aktuellen Handelsdaten geben bereits einen Vorgeschmack darauf, dass die deutschen Exporte keine großen Sprünge mehr machen und in naher Zukunft schrumpfen werden. Stattdessen werden deutsche Firmen chinesische Waren verkaufen und dadurch mit den USA in Konflikt treten, unter Sanktionen fallen etc. China hat Deutschland bereits den Rang als größter Autoexporteur abgelaufen. Diese Entwicklung war seit Jahren absehbar und ich habe sie meinen Kunden in Deutschland versucht klarzumachen. Aber sie lächelten nur und sagten: ‚Wir sind deutsche Unternehmer, wir wissen, was am besten ist.‘ In Deutschland hat man sich auch nie vorstellen können, dass die Gasversorgung aus Russland zusammenbrechen könnte – aber es ist geschehen. Und jetzt hat Amerika Deutschland in die Enge getrieben. Die Deutschen müssen sehr teures Flüssigerdgas aus Amerika kaufen und mehr Geld für die Verteidigung ausgeben. Das ist die harte Wahrheit.“

Schließlich schildert Every bereits den Anfang vom Ende, die aktuelle Situation, gegen die die Bundespolitik nichts mehr in der Hand zu haben scheint und lediglich auf ein „weiter so“ setzt:

„Aber der Punkt ist, Deutschland verkauft die Waren, die es gar nicht mehr besitzt, da ihnen die günstige Energie genommen wurde. Gleichzeitig werden andere Staaten Zölle verhängen, wenn sie den Euro für unterbewertet halten, und letztlich weniger Waren aus Deutschland kaufen. Letztlich wird der Euro schwächer und die Inflation steigen. Um die Inflation zu bekämpfen, müssen die Leitzinsen erhöht werden, worunter die Gesellschaft leiden wird. Und auch über steigende Exporte können keine Mehreinnahmen mehr erzielt werden. Deutschland wird zu einer Entwicklungsökonomie herabgestuft.“

Eine Schockdiagnose kann das freilich nur für die Anhänger staatsnaher Ökonomen sein, welche seit Jahren versuchen die Dauerkrise klein zu reden und mit ihren Prognosen fast immer daneben liegen, aber überhaupt keine neuen Wirtschaftskonzepte mehr haben. Sie sind nicht in der Lage, sich auf eine neue, multipolare Weltordnung einzulassen und von den transatlantischen Fesseln zu lösen. Daher gilt, wie so oft in der Geschichte: Es muss erst richtig schlimm werden, bevor es besser werden kann. Es stellt sich allerdings die Frage, auf welchen dann noch verbliebenen politischen und wirtschaftlichen Fundamenten wiederaufgebaut werden soll, denn ein neuer großer Bruder ist nicht mehr in Sicht.

Fotorechte: SerrNovik
Stock-Fotografie-ID:1094446922
Hochgeladen am:17. Januar 2019

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