„Für mich ist klar: Die Ukraine verteidigt auch unsere Freiheit, unsere Friedensordnung und wir unterstützen sie finanziell und militärisch – und zwar solange es nötig ist. Punkt.“ (Annalena Baerbock, deutsche Außenministerin, Interview mit der Bild 28.8.2022)
Ein Meinungsbeitrag von Sven Brajer
Gedanken zum 1. September. Vor 83 Jahren begann der 2. Weltkrieg. Am Ende sollten diesen u. a. über sechs Millionen Deutsche und 27 Millionen Sowjetbürger mit dem Leben bezahlen. Mein vor einigen Jahren verstorbener Vater (Jahrgang 1932) erzählte mir als Kind wie das damals war, als „die Russen“ am 8./9. Mai 1945 in der ostsächsischen Provinz einmarschierten: ambivalent. Einerseits war die Bevölkerung froh, dass der Krieg nun zu Ende war, andererseits beäugte diese skeptisch die über die Hauptstraße in Neugersdorf marschierenden Rotarmisten, die zum Teil „exotisch“ aussahen, da sie aus Zentralasien stammten. Als einer der „Iwans“ meinem schon damals musikbegeisterten Vater sein Hohner-Akkordeon wegnahm und der damals 13-Jährige darauf den Tränen nahe war, meinte der Soldat: „Ich nehme Dir nur Dein Instrument, deine Leute [die Deutschen] aber haben mir meine Familie genommen.“
„Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie längst verboten“ (Kurt Tucholsky)
Seit den 1970er Jahren ging die Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen bis 2021 um etwa 15 Prozent zurück. Im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen konnte sich bei den letzten Landtagswahlen nur noch gut jeder zweite Wahlberechtigte für eine Partei an der Wahlurne begeistern. Neben der Angleichung und Austauschbarkeit der politischen Akteure und parteipolitischen Programme, gesellten sich zuletzt noch hierzulande unbekannte „Wahlpannen“ wie in Berlin hinzu. Viele Menschen fragen sich daher zurecht: Wozu noch wählen gehen?
Heimat. Familie. Religion – eine bis in das Zeitalter der Industrialisierung auch in westlichen Gesellschaften zusammenhängende Trias, welche den Menschen Halt gab, oder dies ihnen zumindest versprach. In der „Postmoderne“ mit ihren „Segnungen“ – wie gleichgeschalteten „Smart Cities“ und digitalem Nomadentum – wird vermittelt, dass dies alles nicht mehr wichtig sei. Doch erweist sich gerade ein starker Heimatbezug als Bollwerk gegen transhumanistischen Größenwahn und den überbordenden Zentralstaat.
Viele Jahrzehnte ging es den Deutschen, insbesondere im Westen des Landes, gut – offenbar zu gut. Das Gelddrucken der EZB, zügellose Migration, Corona-Maßnahmen, nie gekannte antirussische Sanktionen und permanente Klimahysterie, orchestriert von einer kopflos wirkenden, korrumpierten und vor Arroganz triefenden politischen Klasse haben es geschafft, den einstigen Exportweltmeister Deutschland in wenigen Jahren in eine hochverschuldete Bananenrepublik zu verwandeln. Auch die Dichter und Denker haben größtenteils schon lange resigniert – oder das Land verlassen.
Über dreißig Jahre nach der „Wiedervereinigung“ zeigt sich: Ost- und Westdeutschland haben immer noch nicht zueinander gefunden, die Kluft scheint seit den 2010er Jahren sogar größer geworden zu sein.
Ruine Spinnerei-Weberei Ebersbach, Oberlausitz, Sachsen (2016, Foto von André Joosse, https://www.urbex.nl/)
Während im Westen das Vertrauen in „den Staat“, in die etablierten Parteien und den Umgang mit den globalistischen Krisen unserer Zeit (Migration, „Gender“, Klimawandel, Corona, Ukraine-Krieg) unerschütterlich scheint, sieht das im Osten – wo die soziale Frage immer noch die entscheidende ist – ganz anders aus. Die Aussage: „Ihr denkt an das Ende der Welt, wir denken ans Ende des Monats“[1] beschreibt einen Hauptunterschied am besten: So verdienen im Jahr 2022 Westdeutsche immer noch durchschnittlich tausend Euro mehr pro Monat als Ostdeutsche.[2] Die historische Teilung zwischen Kapitalismus und „real existierenden Sozialismus“ wirkte sich verheerend aus: Konnte man im Westen Dank transatlantischer Schützenhilfe vierzig Jahre lang Wirtschaftswunder feiern, Eigentum anhäufen und vererben, war der Vermögensaufbau für Privatleute in der DDR nur schwer möglich. Folglich konnten dann auch nur die wenigsten Ostdeutschen – ganz abgesehen von der fehlenden Erfahrung – die „fetten Jahre“ an der Börse und am Immobilienmarkt in den Nuller und vor allem 2010er Jahren mitnehmen.
Doch auch kulturell lebt man in verschiedenen Welten: Während in Hamburg. München oder Düsseldorf Aufgewachsene mit Hollywood, Coca-Cola und Popcorn bzw. heute Netflix, Instagram und “Cookies” kulturalisiert sind und oftmals schon x-fach in den „[US-]Staaten“, Kanada oder Australien waren, fühlen sich rechts der Elbe die Ü30-Generationen eher mit ihren östlichen und südöstlichen slawischen Nachbarn und deren Anrainern mental, kulturell und kulinarisch verbunden: Von Tolstoi bis zu den Czerwone Gitary/Rote Gitarren, von der Soljanka bis zum Gulasch.
Dieser Blog will den Osten Deutschlands und seinen bodenständigen Menschen eine Stimme geben sowie um Verständnis für einen oft – aber nicht immer – ganz anderen Blick auf die Dinge werben – denn nach wie vor dominieren Westdeutsche zwischen Ostsee und Erzgebirge in den Spitzenpositionen in Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft, während der gegenwärtige Anteil der Ostdeutschen bei den bundesdeutschen Eliten immer noch deutlich unterrepräsentiert ist.[3] Dass dazu der von Berlin und Brüssel immer stärker fabrizierte Zentralismus für alle Lebenslagen im mit großem Lokalpatriotismus und wachem Bürgergeist versehenen Sachsen, Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern gar nicht gut ankommt, überrascht dabei wenig – genauso wie das Narrativ vom „rechtsradikalen“ und überflüssigen „Dunkeldeutschland“, verbreitet von Menschen aus Köln, Kassel oder Stuttgart, denen frei nach Uwe Tellkamp heute die Häuser am Dresdner Elbhang gehören[4], aber die noch nie einen Fuß an die Müritz oder in die Oberlausitz gesetzt haben.
Wenn sich dazu eine vermeintlich alternativlose Politik, umrahmt von tendenziösen Haltungsjournalismus, immer weiter von der Lebensrealität der Menschen verabschiedet und die vorhandenen demokratischen Institutionen und Prozesse zu einer Farce verkommen, wird es Zeit dem etwas entgegenzusetzen.